Wie KI das Vorstellungsgespräch ersetzt
Die Zeiten des klassischen Bewerbungsgesprächs sind im Wandel. Immer mehr Unternehmen setzen auf das asynchrone Video-Interview, bei dem Künstliche Intelligenz (KI) eine zentrale Rolle spielt. Statt einem persönlichen Gespräch folgt nach der Bewerbung ein Link – ohne Gegenüber, aber mit Kamera und einem Algorithmus im Hintergrund.
Was auf den ersten Blick wie ein Fortschritt wirkt, wirft Fragen auf: Wie entscheidet die KI über Eignung? Und vor allem: Ist das Verfahren fair, transparent und für alle zugänglich?
Was ist ein asynchrones Video-Interview?
Beim asynchronen Bewerbungsgespräch handelt es sich um ein digitales Format, bei dem Bewerberinnen und Bewerber Interviewfragen per Video beantworten – ohne live stattfindendes Gespräch, ohne Gesprächspartner, oft automatisiert bewertet.
Ablauf eines KI-gestützten Interviews:
- Versand eines Interview-Links per E-Mail, WhatsApp oder Karriereportal
- Vorgabe standardisierter Fragen (z. B. Motivation, Berufswahl, Soft Skills)
- Kurze Vorbereitungszeit (z. B. 30–60 Sekunden), danach startet die Kamera
- Analyse durch KI-Software, häufig zusätzlich durch Human Resources Teams überprüft
70 % der Unternehmen in Deutschland planen laut aktuellen Umfragen, diese Form des Video-Recruitings in ihren Bewerbungsprozess zu integrieren – darunter große Namen wie L’Oréal, Lufthansa, Telekom oder auch mittelständische Betriebe.
Was bewertet die Künstliche Intelligenz im Interview?
Moderne KI-Systeme erfassen nicht nur das Gesagte, sondern auch nonverbale Signale. Die Kriterien sind vielfältig:
- Sprache und Ausdrucksweise: Klarheit, Fachbegriffsnutzung, Vermeidung von Füllwörtern
- Mimik & Körpersprache: Blickkontakt, Lächeln, Selbstsicherheit
- Stimme: Tonlage, Überzeugungskraft, Emotionen
- Wortwahl und Struktur: Aktive Formulierungen, Verständlichkeit, roter Faden
Diese Daten werden algorithmisch ausgewertet – und ergeben am Ende ein Profil, das über die nächste Bewerbungsrunde entscheiden kann.
Vorteile des asynchronen KI-Interviews
Trotz aller Skepsis bietet diese Methode auch Chancen:
- Orts- und zeitunabhängige Durchführung
- Kein Anfahrtsweg oder Zeitdruck durch Terminbindung
- Bessere Vergleichbarkeit durch standardisierte Fragen
- Möglichkeit zur Vorbereitung und Wiederholung
Gerade für Bewerbende, die unter Stress schlecht performen oder in Interviewsituationen nervös werden, kann das Verfahren eine faire Alternative darstellen – sofern es transparent und barrierefrei gestaltet ist.
Kritik und Herausforderungen
Kritisch wird diskutiert, ob diese Form der Vorauswahl wirklich objektiv ist. Denn:
- Nicht jeder fühlt sich vor der Kamera wohl – etwa introvertierte Persönlichkeiten
- Technikaffinität entscheidet mit über den Erfolg
- Barrierefreiheit ist nicht immer gegeben: Menschen mit Behinderung, Sprachbarrieren oder sozialer Unsicherheit sind benachteiligt
- Datenschutzrechtliche Fragen sind häufig ungeklärt
Datenschutz im KI-Interview
Das Thema Datenschutz spielt bei KI-basierten Auswahlverfahren eine zentrale Rolle. Nach DSGVO gilt:
- Bewerbende müssen informiert werden, wie Daten wie Mimik, Stimme, Sprache verwendet werden
- Speicherung und Verwendungszwecke müssen transparent offengelegt werden
- Es besteht jederzeit ein Widerspruchsrecht
Ein verantwortungsbewusster Einsatz setzt also umfassende Aufklärung und die Möglichkeit zur Ablehnung voraus – ohne negative Folgen für die Bewerbung.
Praxis-Tipps für Bewerbende
Ein gutes Video-Interview lässt sich gezielt vorbereiten. Diese Punkte helfen dabei, souverän zu wirken:
- Testlauf durchführen: Licht, Kamera, Ton prüfen
- In die Kamera schauen statt auf den Bildschirm
- Neutraler Hintergrund ohne Ablenkung
- Klar sprechen, langsam und strukturiert
- Natürlich bleiben, keine Rollen spielen
- Kleidung wählen, die dem gewünschten Berufsbild entspricht
- Vorbereitungszeit nutzen: Stichworte notieren, auf mögliche Fragen einstellen
Der Algorithmus entscheidet – aber nicht allein
Asynchrone Video-Interviews mit KI werden sich im Bewerbungsprozess weiter etablieren – besonders in größeren Unternehmen und im Ausbildungsbereich. Entscheidend ist, dass der Einsatz dieser Technologie verantwortungsvoll, transparent und fair erfolgt.
Gut vorbereitet kann das Video-Interview sogar ein Vorteil sein: Wer ruhig, klar und authentisch antwortet, präsentiert sich oft souveräner als im direkten Gespräch.